Achtung: Nicht zu finden im Architekturführer von Graz
In Graz existiert Architektur, genauer gesagt zeitgenössische Architektur, in einer Dichte und Vielfalt, die manch europäische Stadt in den Schatten stellt. Wer einmal da war, kommt öfter und lässt sich dann von einheimischen Guides auch etwas von den versteckten Besonderheiten, die nicht im Architekturführer zu finden sind, zeigen.
Gastfreundliche Kunst
Eine Kirche zum Beispiel. Keine Sorge, wir wollen Sie weder bekehren noch zur inneren Einkehr verpflichten. Wir wollen Ihnen nur ein barockes Kleinod zeigen, das sich mit zeitgenössischer Kunst schmückt. Doch aufgepasst: Nicht um Dekoration im herkömmlichen Sinn ging es dem Pfarrer Hermann Glettler bei der mehr als 15-jährigen Verschönerung seiner Pfarre – es ging um mehr. „Sich mit aktueller Kunst zu beschäftigen ist eine Form der Gastfreundschaft, die unserer katholischen Kirche von ihrem Ursprung her aufgetragen ist“, meint der Pfarrer, der auch Kunsthistoriker ist.
Die Kirche St. Andrä wird dabei nicht als Ausstellungsraum behandelt, sondern als spirituell definierter Raum Gottes und der Menschen, in dem künstlerische Interventionen einen Dialog eröffnen sollen. Kunst provoziert die Aufmerksamkeit. „Aufmerksamkeit ist ein anderes Wort für Heiligkeit,“ sagt Simone Weil.
Arabische Nächte und katholische Pfarre
Ein Schelm, wer denkt, dass der Pfarrer auch Irritation schaffen möchte. Zum Beispiel mit den vielen rätselhaften Begriffen, die in unterschiedlicher Farbe, Schriftart und Größe außen auf die Fassaden und den Kirchturm geschrieben wurden. Die Arbeit des Grazer Künstlers Gustav Troger gibt Begriffe wieder, die im Adler-Farbkatalog den einzelnen Farben der Firma zugeordnet wurden, um sie zu illustrieren. Wenn einer inne hält und beginnt, nachzudenken, was „Arabische Nächte“ bedeuten könnte, ist schon viel gewonnen, meint der Pfarrer einer Gemeinde, die einen hohen Anteil an Migranten aufweist.
Schaukeln im Kirchenschiff
Sind diese nicht katholisch, sind sie dennoch eingeladen ins Gotteshaus. So wie die afrikanische Community, die am Sonntag zu Mittag eine Messe mit Gospelmusik zelebriert, dass die Fenster klirren. Von diesen gibt es viele und jedes ist von einem namhaften Künstler gestaltet. Sehr poetisch: Knocking at heaven’s door. Poetische und heitere, irritierende wie anregende Kunst bildet hier den Rahmen für ein Innehalten im hektischen Getriebe der Stadt, nichts hält den Besucher von der Kontemplation ab. Außer er überlegt, wie er auf die Schaukel des Kettenkarussells kommt, die hoch oben vom Kirchenschiff baumelt – beschwingt, frei und einmalig wie die Atmosphäre, die man in diesem Gotteshaus spürt.
Text: Karin Tschavgova, von Architektouren Graz, Guiding Architects in Graz und Ljubljana.
Fist image: Chapel painting entitled „Raumszeichnung“, by Otto Zitko. Copyright: Bertl Mütter.
www.heimsath.com/sacred-space-holy-place/modern-art-in-graz-transforms-baroque-church
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