Lesen auf dem fliegenden Teppich – Sanierung und Erweiterung der Bibliothek der Universität Graz
Wozu vergrößert man das Raumangebot einer Bibliothek in einer Zeit, in der mehr Informationen auf ein Smartphone passen, als man sich aus den gesammelten Bänden der Bücherei einer Kleinstadt holen kann?
Wer heute Bibliotheken baut, will nicht mehr Speicher für noch mehr Bücher, sondern Orte der Begegnung schaffen. „Analoges“ Lesen ist nur eine Option.
2015 wurde für die Sanierung und Erweiterung der Bibliothek der Universität Graz (1895) ein Wettbewerb ausgeschrieben, in dem die „Gesamtbetrachtung der städtebaulichen Situation unter Berücksichtigung von qualitätvollen Außen- und Freiräumen“ verlangt wurde. Unter den 35 Beiträgen stach einer heraus. Signifikanz durch klare Formen und Proportionen wurde von der mutigen Jury mit dem ersten Preis bedacht.
Das Atelier Thomas Pucher aus Graz sah vor, die mehrfach durch Zubauten veränderte Bibliothek aus 1890 radikal zu „bereinigen“. Der Anbau aus den 1970ern im Norden wie der Verbindungsgang zum Hauptgebäude wurden entfernt, die historische Fassade wieder freigelegt. Dem Ring mit dem historischen Lesesaal als Kern wurden zwei Geschoße aufgesetzt – mit gläserner Fuge in guter Grazer Architekturtradition. Der als „fliegender Teppich“ bezeichnete neue Baukörper kragt im Norden weit aus. Darunter entstand ein großzügig dimensionierter Platz, der punktgenau der Forderung nach einer städtebaulichen Aufwertung der Freiräume am Campus entspricht.
Das neue zentrale Entree ist als lange gläserne Fuge ausgebildet – ein „Open Access“, der alle Bereiche erschließt. Auch hier gelingt den Architekten nachvollziehbar, Ordnung und Orientierung zu schaffen.
Als Herzstück können die differenziert ausgestalteten Lese- und Arbeitszonen in den neuen, obersten Geschoßebenen bezeichnet werden. In luftig-heller Arbeitsatmosphäre entscheidet man sich hier entweder für den akustisch getrennten Leiseraum mit Galerie, der mit langen Tischen und Bildschirmen ausgestattet ist oder für den intimen Platz in einer Koje an der Längsfront gegenüber der Freihandbibliothek. Es gibt Sitzstufen mit Stromanschluss und eine Lounge mit Sofas, in der sich bequem die neuesten News lesen lassen. Das strahlende Weiß der massiven Stahltragkonstruktion und das dominierende, schöne Rot des Teppichbodens, der die Schritte schluckt und eine visuelle Klammer bildet, sind Muntermacher und wirken auch an einem grauen Wintertag einladend.
Dass die neue Bibliothek in ihrer signifikant herausragenden Form der Grazer Universität zum Symbol für Fortschritt wird und trotzdem keines jener ikonografischen Monster ist, liegt wohl am Arbeitsmotto von Thomas Pucher: „Explore the function. Make it simple. Design with style. Get an icon”.
Architektouren-Graz nützt die Genehmigung zum „Open access“ gerne und bietet seinen Gästen die Möglichkeit, dieses neue Highlight des Universitätscampus eingehend zu besichtigen.
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