Graz soll 2020 zum zweiten Mal europäische Kultur-(haupt)-Stadt werden
2003 war Graz Kulturhauptstadt – Europas einzige damals. Die zweitgrößte Stadt Österreichs nützte damals von zwei schon früh „etablierten“ Alleinstellungsmerkmalen innerhalb Österreichs eines ganz besonders. Schon in seiner Bewerbung setzte man auf Architektur und eine eigenständige, so manche Mode in Europa (wie die Postmoderne) ablehnende Entwicklung der Architektur im Lande. Diese Geschichte, von außen staunend die „Grazer Schule“ genannt, ist hinlänglich bekannt und abgeschlossen, ihre Protagonisten sind in den verdienten Ruhestand getreten oder tot. Im heutigen Graz finden sich Spuren dieser Idee jedes Bauwerks als einzigartige Kreation nur mehr in wenigen Bauten von Schülern und Schülerinnen, zum Beispiel von Günter Domenig. Das meiste, das heute gebaut wird, weist kein Graz-Spezifikum auf, sondern folgt einem weltweiten Mainstream.
Dennoch ist zeitgenössische Architektur ein wesentliches Charakteristikum dieser Stadt. Nun vermehrt versucht, sich auch als Weltkulturerbe ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen. Womit? Ja, in Graz darf alt und neu nebeneinander in einer Symbiose stehen. Denn alles, was im Zentrum der Stadt, die einen mittelalterlichen und einen Renaissancekern hat, neu gebaut werden soll, wird nach einem einzigen Kriterium beurteilt: es muss eine außergewöhnlich hohe Bauqualität aufweisen. Und so kann es durchaus sein, dass ein neues Bürohaus, das als Solitär in Stahlbauweise mitten am Platz steht, umgeben von Bauten aus unterschiedlichen Zeiten und mit verschiedenen Funktionen, einen Preis der Kommission der Altstadt erhält für die gute Einfügung ins Weltkulturerbe. Die deutschen Gäste, die wir mit unserer Tour „Alt und neu in Harmonie“ durch unsere Stadt führen, sind oft mehr als erstaunt, was hierorts alles möglich ist.
Nun wird Graz 2020 wieder zur Kulturstadt, diesmal selbst ernannt und mit einem Motto: Kultur schafft urbane Zukunft. Auf der Homepage wird verlautbart: „Graz steht ganz im Zeichen der Urbanen Zukunft und wird zum Zentrum einer umfassenden Beschäftigung mit den virulenten Fragestellungen unserer Zeit und zur Zukunft unserer Städte. Fünf Millionen Euro Fördergeld investiert die Stadt zur Realisierung von 94 Projekten aus Kunst und Wissenschaft zu den Themen Umwelt und Klima, Digitale Lebenswelten, Urbanismus und Stadtplanung, soziales Miteinander und Arbeit von Morgen. Wohl einzigartig in der internationalen Festivallandschaft ist die ganzjährige Auseinandersetzung wie wir leben wollen, in deren Rahmen Veranstaltungen, Installationen, künstlerische Interventionen, Ausstellungen, Performances, Symposien und Events in allen 17 Stadtbezirken stattfinden werden.“
Projektauswahl zum Graz Kulturjahr 2020
Man hat dafür die Kreativen der Stadt aufgerufen, Projekte einzureichen, und alle kamen. 600 Projekte wurden eingereicht und eine Jury wählte daraus jene, die in diesem Jahr realisiert werden sollen. Ihre Themen sind mehrheitlich die Stadt und ihr Raum, die aktive Beteiligung an ihrer Entwicklung und die Aneignung des öffentlichen Raums, der Straßen und Plätze durch die Bürger und Bürgerinnen. Plätze werden bespielt von Off-Theatern und ungewöhnliche Orte wie ein Gefängnis soll zur Bühne werden. Der international bekannte Pianist Marino Formenti wird in den Gemeindebau einer Siedlung in die Vorstadt gehen und in einer öffentlichen Aktion vielleicht fortsetzen, was er in einem mehrtägigen Dauerspiel in einem Schaufenster im Stadtzentrum vor Jahren begonnen hat.
Videoanimationen von Markus Wilfing werden die Grazer Innenstadt bespielen und eine wunderbar verstörende Klangarbeit von Bill Fontana – Sonic Projections – die beim Festival „steirischer herbst“ 1988 wegen massiven Protesten abgeschaltet werden musste, wird im Frühjahr wieder auferstehen. Der amerikanische Klangkünstler wird auch mit einer Einzelausstellung im berühmten Kunsthaus der Architekten Peter Cook und Colin Fournier zu sehen sein. Als ehemaliger Schüler von John Cage, Dick Higgens und Alison Knowles steht sein heutiges Werk für eine Fortsetzung radikaler Konzepte der 1970er-Jahre und für den Drang, das Studio zu verlassen. Fontana will, dass wir uns durch seine Irritationen auf das Wahrnehmen der eigenen Umwelt konzentrieren.
Das wird 2020 in einem dichten und abwechslungsreichen Programm, nicht nur im Stadtzentrum möglich sein. Ob es gelingt, den Bürgern und Besuchern damit eine Teilhabe am Geschehen in der Stadt zu vermitteln? Noch wissen wir es nicht. Wir von Architektouren-graz sind neugierig. Wir werden jedenfalls dabei sein und unsere Besucher immer auch an die aktuellen Orte des Geschehens, zu den spannendsten Interventionen im urbanen Raum führen.
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