Guiding Architects @Home – Diese Woche: Barbara Iseli von Insight Architecture
Hier kommt die fünfte Folge unserer neuen Interviewreihe. Dieses Mal teilt Barbara Iseli von Insight Architecture in Rio de Janeiro ihre Tips mit uns.
1. Leer
Für gewöhnlich sind viele attraktive Plätze und Gebäude von Einheimischen und Touristen überlaufen, und wir neigen daher dazu, sie aus unserem Alltag auszublenden. Doch nun sind unsere Städte plötzlich leer.
Welche architektonisch und städtebaulich interessanten Orte würdest Du nun bei Euch am liebsten erkunden?
Rio de Janeiro hat über 50 Strände. Der bekannteste und überfüllteste ist der Copacabana-Strand. An einem heißen Sommerwochenende wird er so überfüllt, dass man kaum noch den Weg vom Handtuch oder Strandkorb zum Wasser findet. Diesen städtischen Strand für sich allein zu haben, auf der einen Seite das dichteste Quartier der Stadt (mehr als 40’000 Einwohner pro überbautem Quadratkilometer) und auf der anderen Seite das offene Meer zu spüren, ist wahrscheinlich etwas, wovon jeder träumt.
Aber dann würde ich andererseits all die plaudernden Menschen vermissen, die Sonnenanbeter, die sich das Bräunungsöl sorgfältig auf den Körper schmieren, die schreienden ambulanten Strandverkäufer usw., die diesen Ort so lebendig, charmant und einzigartig machen.
2. Virtuell
In Zeiten der Quarantäne können wir vom Mobiltelefon aus binnen weniger Sekunden rund um den Globus reisen und dank detaillierter Luftbilder und Straßenaufnahmen ungeahnte Einblicke erhalten.
Kannst Du ein Beispiel nennen für eine durch die Sicht vom Himmel determinierte Architektur an Deinem Standort?
Wir bleiben in Copacabana. Die Wellenzeichnung an der Strandpromenade ist weltweit bekannt und zum Symbol des Quartiers geworden. Weniger bekannt, aber nicht weniger beeindruckend, ist das Muster auf dem Streifen zwischen den beiden Seiten der Strasse und vor den Wohnhäusern und Hotels. Drei verschiedene Farben des „Portugiesischen Steins“ genannten Kopfsteins bilden eine geometrisch abstrakte Zeichnung. Die Zeichnung ist aus der Vogelperspektive viel leichter zu erkennen als wenn man darauf geht. Um sie zu bewundern, empfehle ich einen Sundowner auf einer der vielen Hoteldachterrassen am Strand – sobald reisen wieder möglich ist, natürlich. Zum Wohl!
3. Revitalisiert
In vorangehenden Krisen hat stets die ältere Generation unseren Jungen helfen müssen. Jetzt ist es genau umgekehrt.
Wie geht man in Deiner Stadt mit alter, brachliegender oder verlassener Bausubstanz um?
Auch nach acht Jahren Leben in der Stadt, fasziniert mich noch heute die hemmungslose Art mit der in Rio de Janeiro historische und zeitgenössische Gebäude nebeneinander gesetzt werden. Ganz selbstverständlich stehen am Platz Cinelândia Gebäude, die das Stadttheater, ein Prunkbau aus der Stadterneuerung Anfang des 20. Jahrhunderts, bei weitem überragen; und der 140 Meter hohe Turm der Candido Mendes Universität im Block neben dem geschichtsträchtigen Paço Imperial, ehemaliger Regierungssitz der portugiesischen Krone. Rio de Janeiro erfindet sich so immer wieder neu. Vieles wird dabei Vergangenheit und geht verloren, schafft jedoch Platz für neues.
4. Versteckt
Als Guiding Architects warten wir sehnsüchtig auf den Moment, ein dem wir erneut die geheimen Orte unserer Städte besuchen und mit unseren Gästen teilen können.
Kennst Du ein Projekt in Deiner Stadt, das man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt.
Ich liebe es, durch die Viertel Centro, Copacabana und Ipanema zu schlendern und die zahlreichen schönen Eingangshallen und Einkaufsgalerien zu erkunden. Das tropische Klima ließ die modernistische Idee des offenen Erdgeschosses die Stadt erobern. Es gibt bekannte Galerien wie die Galeria Menescal oder das Antiquariat aus den 1950er und 60er Jahren in Copacabana, die einen Besuch wert sind. Sie können aber auch einfach nur umherwandern und einen der kleinen Eingänge nehmen, der Sie in ein unerwartet großes Labyrinth oder eine Halle führt, in der Sie sich wie im Bauch eines Wals fühlen.
5. Wertvoll
Plötzlich sind wir gezwungen, innezuhalten und auf alles Unnötige zu verzichten. Unsere Umwelt bekommt eine Verschnaufpause, und wir können uns endlich auf das Wesentliche konzentrieren.
Kannst Du ein Projekt in Deiner Stadt vorstellen, das auf besondere oder ungewöhnliche Art mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht?
In einer Metropole mit 12 Millionen Einwohnern und einer riesigen Kluft zwischen Arm und Reich sind die Herausforderungen an eine nutzvolle Architektur und einem einigermassen organisierten Städtebau enorm. Es geht weniger darum, dass man sich mit einzelnen sogenannt nachhaltig zertifizierten Gebäuden brüstet. Einerseits dürfen diese Zertifikate hinterfragt werden. Andererseits geht es um Gesellschaft, Bewusstsein und einfache, effektive Lösungen. In Rio de Janeiro ist es viel wichtiger, die “Communities” (Slums) an das Abwassersystem anzuschließen, wie auch für gute Bildung und natürlich auch das Bewusstsein zu sorgen. Es gab in den letzten zwei, drei Jahrzehnten Anstrengungen in diese Richtung und sollte sich hoffentlich in den nächsten Jahrzehnten verstärkt entwickeln.
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