Guiding Architects @Home – Diese Woche: Cristina Emília R. Silva von Cultour
Hier kommt die achte Folge unserer neuen Interviewreihe. Dieses Mal teilt Cristina Emília R. Silva von Cultour in Porto/Lisbon ihre Tips mit uns.
1. Leer
Für gewöhnlich sind viele attraktive Plätze und Gebäude von Einheimischen und Touristen überlaufen, und wir neigen daher dazu, sie aus unserem Alltag auszublenden. Doch nun sind unsere Städte plötzlich leer.
Welche architektonisch und städtebaulich interessanten Orte würdest Du nun bei Euch am liebsten erkunden?
Es sieht so aus, als könntet Ihr Gedanken gelesen! Im Juni nutzten wir die Gelegenheit, nicht stundenlang in endlosen Warteschlangen stehen zu müssen und stiegen die 225 Stufen des Clerigos-Turms hinauf, auf 75 m Höhe. Dieser Glockenturm mitten im historischen Stadtzentrum ist eines der bekanntesten Gebäude von Porto und auch ein Wahrzeichen in der Skyline der Stadt. Er wurde Ende des 18. Jahrhunderts (1753-63) vom italienischen Architekten Nicolau Nasoni entworfen. Die 360 Grad Perspektive über die Stadt ist jedes Mal atemberaubend!
2. Virtuell
In Zeiten der Quarantäne können wir vom Mobiltelefon aus binnen weniger Sekunden rund um den Globus reisen und dank detaillierter Luftbilder und Straßenaufnahmen ungeahnte Einblicke erhalten.
Kannst Du ein Beispiel nennen für eine durch die Sicht vom Himmel determinierte Architektur an Deinem Standort?
Das Gebäude, das uns in den Sinn kommt, ist das Kreuzfahrtterminal in Leixões (2014). Es ist zwar von unserem Kollegen Luís Pedro Silva, dem Architekten des Projektes, nicht bestätigt, dass er in dem zehn Jahre langen Entwurfsprozess quasi aus der Vogelperspektive gedacht hat. Aber wir können uns leicht vorstellen, dass man sich ein bisschen wie Gott fühlt, wenn man sich mit einem Naturelement befasst, das so gewaltig ist wie der Atlantische Ozean. Man muss sagen, Luís Pedro ist wirklich ein netter und bescheidener Architekt, aber von diesem Gebäude wird unsere Vorstellungskraft einfach davongetragen…
3. Revitalisiert
In vorangehenden Krisen hat stets die ältere Generation unseren Jungen helfen müssen. Jetzt ist es genau umgekehrt.
Wie geht man in Deiner Stadt mit alter, brachliegender oder verlassener Bausubstanz um?
Wenn es darum geht, was hoffentlich der nächste Pflichtprogrammpunkt in Porto sein wird: die Renovierung und Erweiterung des alten Schlachthofs der Stadt durch Kengo Kuma in Zusammenarbeit mit dem portugiesischen Team OODA. Wie in vielen anderen Städten in Europa auch werden in Porto die ehemaligen Industriegebiete als wertvolles Erbe angesehen und in Gemeinde-, Kultur- und Geschäftszentren umgewandelt (wie zum Beispiel auch der Schlachthof in Madrid, auf den Werner in seinem Interview Bezug genommen hat). Dieses Gebäude wird ein wichtiger Anker sein, um die Revitalisierung von Porto in seinen östlichen Stadtteilen und darüber hinaus voranzutreiben.
4. Versteckt
Als Guiding Architects warten wir sehnsüchtig auf den Moment, ein dem wir erneut die geheimen Orte unserer Städte besuchen und mit unseren Gästen teilen können.
Kennst Du ein Projekt in Deiner Stadt, das man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt.
Casa das Artes, das „Haus der Künste“, ist buchstäblich in einem Garten hinter einer Granitsteinmauer versteckt. Auch durch sein Alter ist es in gewisser Weise versteckt, denn es taucht in den aktuellen Meldungen zur portugiesischen Architektur nicht mehr auf. Der Bau wurde 1991 fertig gestellt. Als der Gewinner des Wettbewerbs bekannt gegeben wurde, handelte es sich um einen unbekannten Architekturstudenten, der gerade seinen Abschluss gemacht hatte – Souto de Moura. Wir von Cultour als Partner von Casa das Artes für das Besuchsprogramm führen dort zwar so manche Gruppe durch das Haus, aber es verdient noch viel mehr Aufmerksamkeit. Casa das Artes ist der Schlüssel zu einem tieferen Verständnis der späteren Arbeiten von Souto de Moura.
5. Wertvoll
Plötzlich sind wir gezwungen, innezuhalten und auf alles Unnötige zu verzichten. Unsere Umwelt bekommt eine Verschnaufpause, und wir können uns endlich auf das Wesentliche konzentrieren.
Kannst Du ein Projekt in Deiner Stadt vorstellen, das auf besondere oder ungewöhnliche Art mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht?
Unserer Meinung nach ist die Stadterneuerung in Porto ein Beispiel für einen bemerkenswerten Ansatz von Nachhaltigkeit. Dieser geht weit über eine bestimmte Gebäudetechnologie hinaus und versucht, mehrere Aspekte der komplexen Realität in Einklang zu bringen: die historische Gebäudesubstanz und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte. Die Stadt Porto hat diesen Ansatz 2014 in der Achse Mouzinho / Flores im historischen Stadtzentrum umgesetzt. Es gab eine Vielzahl von Aktionen, darunter die Umgestaltung des öffentlichen Raums – teilweise mit Kunstwerken -, der Bau eines Museums, Unterstützung für Unternehmer und Ladenbesitzer und vieles mehr. Stadterneuerung aber bleibt ja immer „work in Progress.“
Cristina Emília R. Silva, Cultour – Guiding Architects Porto/Lisbon
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