Guiding Architects @Home – Diese Woche: Diego Baloian von MASSANTIAGO
Hier kommt die siebtes Folge unserer neuen Interviewreihe. Dieses Mal teilt Diego Baloian von MASSANTIAGO in Santiago de Chile seine Tips mit uns.
1. Leer
Für gewöhnlich sind viele attraktive Plätze und Gebäude von Einheimischen und Touristen überlaufen, und wir neigen daher dazu, sie aus unserem Alltag auszublenden. Doch nun sind unsere Städte plötzlich leer.
Welche architektonisch und städtebaulich interessanten Orte würdest Du nun bei Euch am liebsten erkunden?
Ich würde direkt zum Metropolitan Park gehen, einer Reihe miteinander verbundener Hügel in der Stadt, die sich von den Anden bis zum Zentrum von Santiago erstrecken. Mit seiner 737 ha großen Fläche ist dieser Park die grüne Lunge der Stadt und bietet gleichzeitig ein Wegenetz mit vielen Einrichtungen und Attraktionen, die ihn zu einem Massenziel machen. Vom Pablo Neruda-Aussichtspunkt aus können Sie das gesamte Stadtgebiet von Santiago sehen und seine geografische Lage verstehen. Und da außerdem während der Quarantäne die Luftverschmutzung erheblich abgenommen hat, ist dies heute ein Ort, an dem Sie die Landschaft friedlich genießen und sogar wilden Tieren begegnen können, die in ihren natürlichen Lebensraum zurückgekehrt sind.
2. Virtuell
In Zeiten der Quarantäne können wir vom Mobiltelefon aus binnen weniger Sekunden rund um den Globus reisen und dank detaillierter Luftbilder und Straßenaufnahmen ungeahnte Einblicke erhalten.
Kannst Du ein Beispiel nennen für eine durch die Sicht vom Himmel determinierte Architektur an Deinem Standort?
In den 1930er Jahren wurden mehrere Projekte entwickelt, um das öffentliche Image des Staates zu verbessern. Auf diese Weise wurde das Barrio Civico (‚Bürgerbezirk‘) geschaffen, eine Art Operation am kolonialen Raster rund um den Regierungspalast, der seinerseits das Raster einer präkolumbianischen Siedlung verwendet hatte. Im Jahr 2005 beschloss die Regierung zum zweihundertjährigen Bestehen der Unabhängigkeit Chiles, den Bezirk erneut umzugestalten. Die Plaza de la Ciudadanía an der Hauptallee der Stadt erhielt eine Reihe diagonaler Fußgängerachsen und eine große Wasseroberfläche, die auch als Temperaturregler für das direkt unter dem Platz errichtete Kulturzentrum dient. In dieser Anordnung sehen wir, wie sich verschiedene Zeitschichten überlappen, die die Identität einer Nation ausmachen.
3. Revitalisiert
In vorangehenden Krisen hat stets die ältere Generation unseren Jungen helfen müssen. Jetzt ist es genau umgekehrt.
Wie geht man in Deiner Stadt mit alter, brachliegender oder verlassener Bausubstanz um?
Während der Militärdiktatur verschwand eine große Anzahl historischer Gebäude. Als die Demokratie in den 1990er Jahren zurückkehrte, entdeckten die Bürger ihr Zugehörigkeitsgefühl mit dem historischen Erbe wieder. Das Museum für Präkolumbianische Kunst ist ein Beispiel für eine auf hohem Niveau erfolgte Restaurierung im historischen Zentrum. Das Projekt, das 2014 vom Architekten Smiljan Radic entworfen wurde, verwendet wieder die ursprüngliche Struktur des Gebäudes und fügt zwei unterirdische Ebenen für Ausstellungsräume und Restaurierungswerkstätten hinzu. So wird der zunehmenden urbanen Verdichtung Rechnung getragen und gleichzeitig werden die Vorschriften für den Schutz des kulturellen Erbes eingehalten.
4. Versteckt
Als Guiding Architects warten wir sehnsüchtig auf den Moment, ein dem wir erneut die geheimen Orte unserer Städte besuchen und mit unseren Gästen teilen können.
Kennst Du ein Projekt in Deiner Stadt, das man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt.
Die ECLAC (Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik), eine Organisation der Vereinten Nationen, hat ihren Hauptsitz in einem 1966 von Emilio Duhart errichteten Gebäude. Es ist ein Wahrzeichen der modernen Architektur und des lateinamerikanischen Brutalismus. Die Tore sind jedoch fast das ganze Jahr über geschlossen, mit Ausnahme der nationalen Feier zum Tag des Kulturerbes und gelegentlicher Gruppenbesuche, die im Voraus zu organisieren sind. 2018 zum Beispiel besuchten wir das Gebäude mit 150 Mitgliedern des AIA (American Institute of Architects) zusammen mit der Copperbridge Foundation, und jedes Mal, wenn wir wieder dort sind, ist es eine absolute Freude. Wenn es uns gelingt, einen Besuch zu koordinieren, vergessen Sie nicht, Ihre Pässe mitzubringen, da wir internationalen Boden betreten werden!
5. Wertvoll
Plötzlich sind wir gezwungen, innezuhalten und auf alles Unnötige zu verzichten. Unsere Umwelt bekommt eine Verschnaufpause, und wir können uns endlich auf das Wesentliche konzentrieren.
Kannst Du ein Projekt in Deiner Stadt vorstellen, das auf besondere oder ungewöhnliche Art mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht?
Lateinamerikanische Städte wachsen schnell, aber mit schwerwiegenden Problemen wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit, die sich in einer deutlichen städtischen Segregation und großen Unterschieden in der Qualität des öffentlichen Raums widerspiegeln. In diesem Sinne präsentiert der von Cristián Boza entworfene Parque de la Familia einen sozial nachhaltigen, urbanen Ansatz, indem ein altes Industrieviertel der Stadt saniert wird. Das Projekt ist Teil einer Folge von Parks am Ufer des Flusses Mapocho, die als eine Art sozialer Gleichmacher angesehen werden kann, da sie sich durch arme und reiche Stadtteile hinzieht und uns an die Worte von Alejandro Aravena erinnert: „Architektur kann eine Abkürzung zur Gleichheit sein.“
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