Guiding Architects @Home – Diese Woche: Felicitas Konečny von architectural tours vienna
Hier kommt die vierte Folge unserer neuen Interviewreihe. Dieses Mal teilt Felicitas Konečny von Architekturführungen in Wien ihre Tips mit uns.
1. Leer
Für gewöhnlich sind viele attraktive Plätze und Gebäude von Einheimischen und Touristen überlaufen, und wir neigen daher dazu, sie aus unserem Alltag auszublenden. Doch nun sind unsere Städte plötzlich leer.
Welche architektonisch und städtebaulich interessanten Orte würdest Du nun bei Euch am liebsten erkunden?
Durch die Fußgängerzone vom Stephansdom zur Hofburg müssen alle, Gäste wie Einheimische. Am Michaelerplatz, der Vorplatz zur Hofburg und Kreisverkehr in einem ist, kommen zu diesem Fußgängerstrom noch Fahrräder, Fiaker, Autos, Lieferwägen und der Linienbus dazu. Jetzt ist es plötzlich möglich, diesen Platz in Ruhe zu genießen, wo man mit einem Rundumblick Bauten aller Epochen sieht: Römische Ausgrabungen, eine mittelalterliche Kirche, Renaissance-, Barock- und historistische Gebäude, das berühmte Looshaus, das erste Wiener Hochhaus (1932) und nicht zuletzt die 1992 realisierte Gestaltung von Hans Hollein, die den Platz fasst und erlebbar macht.
2. Virtuell
In Zeiten der Quarantäne können wir vom Mobiltelefon aus binnen weniger Sekunden rund um den Globus reisen und dank detaillierter Luftbilder und Straßenaufnahmen ungeahnte Einblicke erhalten.
Kannst Du ein Beispiel nennen für eine durch die Sicht vom Himmel determinierte Architektur an Deinem Standort?
Ich würde ein Gebäude verachten, wenn es nur von der Vogelperspektive bestimmt ist! 😉 Aber schauen wir uns den eleganten Erste Campus, die Zentrale der Erste Bank von Henke und Schreieck Architekten an – aus der Luft kann man den komplexen Entwurf am besten analysieren. Die schlanken, gebogenen Trakte sorgen für ein Maximum an Tageslicht und Ausblick für die Arbeitsplätze, der großzügige Dachgarten von Auböck + Kárász Landschaftsarchitekten ist von allen Gebäudeteilen direkt zugänglich. Das Ensemble öffnet sich zum Park des Belvedere im Norden und zum Schweizergarten im Osten und verbindet diese mit dem Büroviertel und dem Hauptbahnhof im Südwesten.
3. Revitalisiert
In vorangehenden Krisen hat stets die ältere Generation unseren Jungen helfen müssen. Jetzt ist es genau umgekehrt.
Wie geht man in Deiner Stadt mit alter, brachliegender oder verlassener Bausubstanz um?
Leider ist der Druck bei der Verwertung von Liegenschaften sehr hoch, und viel zu oft bleibt von einem alten Industrieareal dann nur ein einziges historisches Gebäude als Fotomotiv für den Marketing-Prospekt übrig. Gut gelungen finde ich hingegen die Brotfabrik, ein Ensemble unweit des neuen Sonnwendviertels. Im moderneren Teil des Areals wird nach wie vor Brot produziert, die ältesten Gebäude (von 1900/1912) wurden unter der Regie des Entwicklers Walter Asmus sehr sensibel adaptiert und erweitert für eine gemischte Nutzung mit Galerien, Veranstaltungsräumen, Bildungs- und Sozialeinrichtungen, Lofts zum Wohnen und Arbeiten, einem Restaurant und einer Mikro-Brauerei.
4. Versteckt
Als Guiding Architects warten wir sehnsüchtig auf den Moment, ein dem wir erneut die geheimen Orte unserer Städte besuchen und mit unseren Gästen teilen können.
Kennst Du ein Projekt in Deiner Stadt, das man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt.
Am Weg durch die Altstadt gehe ich gerne durch den Torbogen des Hauses „Zur Weißen Rose“ in den schmalen, schattigen Innenhof mit Pflastersteinen, einem kleinen Brunnen und Wildem Wein an den Mauern. Wenn man dann den Blick zum Himmel hebt, sieht man über den 5 gemauerten Stockwerken den „Mandalahof“, einen abgetreppten Dachausbau von Adolf Krischanitz. Der Holzbau umfasst zwei Geschoße mit Kleinwohnungen und darüber eine Dachterrasse mit wunderschönem Ausblick.
5. Wertvoll
Plötzlich sind wir gezwungen, innezuhalten und auf alles Unnötige zu verzichten. Unsere Umwelt bekommt eine Verschnaufpause, und wir können uns endlich auf das Wesentliche konzentrieren.
Kannst Du ein Projekt in Deiner Stadt vorstellen, das auf besondere oder ungewöhnliche Art mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht?
Da fällt mir sofort die „Vinzirast mittendrin“ ein. Die Entstehungsgeschichte ist sehr spannend, hier nur ein paar wesentliche Fakten: Ein privater Verein, der Notschlafstellen für Obdachlose betreibt, hat eine desolates Haus nahe der Universität erworben. Das Architekturbüro Gaupenraub +/- plant und koordiniert die Adaptierung und den Dachausbau für eine gemischte Nutzung: Wohngemeinschaften für Studierende und ehemals obdachlose Personen; Dachgarten; Restaurant; Veranstaltungsräume; Werkstätten für Recycling und Upcycling. Weil es kaum Geld aber viel Bereitschaft zur Mitarbeit gibt, sowohl von Obdachlosen und Asylwerbern als auch von Freiwilligen des Vereins, wird jedes Stück des alten Hauses wiederverwendet – und das Ergebnis ist Architektur.
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