Guiding Architects @Home – Diese Woche: Lorenzo Kárász von GA Barcelona
Das Corona-Virus verhindert momentan, dass wir mit Gruppen auf Tour gehen. So schlimm die Situation ist, bietet sie auch ein paar Chancen – etwa, um unsere Städte einmal mit anderen Augen zu sehen und ihre Transformation im Laufe der letzten Jahre zu überdenken.
Und natürlich möchten wir diese Einsichten mit Ihnen teilen. Ab sofort präsentieren wir alle zwei Wochen ein Interview mit einem Mitglied von Guiding Architects. Den Anfang macht Lorenzo Kárász von GA Barcelona.
1. Leer
Für gewöhnlich sind viele attraktive Plätze und Gebäude von Einheimischen und Touristen überlaufen, und wir neigen daher dazu, sie aus unserem Alltag auszublenden. Doch nun sind unsere Städte plötzlich leer.
Welche architektonisch und städtebaulich interessanten Orte würdest Du nun bei Euch am liebsten erkunden?
Lorenzo: „Ich würde gerne einmal Las Ramblas, die Hauptschlagader Barcelonas, auf- und abgehen, wo alle Widersprüche der Stadt aufeinandertreffen und gleichzeitig miteinander verschmelzen. Oder ein gemütlicher Spaziergang an einem Sonntagmorgen im Parc Güell, dem gescheiterten Immobilienprojekt des wichtigsten Mäzens Gaudís und einzigartiges Meisterwerk nachhaltiger Landschaftsplanung.“
2. Virtuell
In Zeiten der Quarantäne können wir vom Mobiltelefon aus binnen weniger Sekunden rund um den Globus reisen und dank detaillierter Luftbilder und Straßenaufnahmen ungeahnte Einblicke erhalten.
Kannst Du ein Beispiel nennen für eine durch die Sicht vom Himmel determinierte Architektur an Deinem Standort?
Lorenzo: „Von oben betrachtet, sieht der Mercado de Santa Catarina wie ein gepixelter Obststand in Form eines riesigen, aus hunderttausend Keramikplatten bestehenden Tischtuchs aus. Bunt schillernd legt es sich über scheinbar organisch gewachsene Marktgassen und spannt einen großzügigen Raum auf. Es gefällt mir, weil es die Architektur zum Spiegel und zur Metapher für die komplexe Stadtstruktur macht, aber auch eine gewisse Ironie und Leichtigkeit hat. Markt, Bestand, Archäologie und sozialer Wohnungsbau verschmelzen zu einem einzigen, pulsierenden Stadtfragment.“
3. Revitalisiert
In vorangehenden Krisen hat stets die ältere Generation unseren Jungen helfen müssen. Jetzt ist es genau umgekehrt.
Wie geht man in Deiner Stadt mit alter, brachliegender oder verlassener Bausubstanz um?
Lorenzo: „In den späten achtziger Jahren ist in Barcelona mit dem Bau des Olympischen Dorfes inmitten eines ehemaligen Industriegeländes ein nicht unbeträchtlicher Teil der historischen Bausubstanz verloren gegangen. Gleichzeitig ist damit das industrielle Erbe erstmals in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Damit begann die Umnutzung obsolet gewordener Fabrikanlagen zu Bürger- und Kulturzentren, was wiederum die zentrale Bedeutung von Bürgerinitiativen für urbane Transformationsprozesse unterstreicht. Heute bildet das Innovationsquartier 22@ im Poble Nou die Basis für einen nachhaltigen und kreativen Umgang mit dem industriellen Erbe Barcelonas.“
4. Versteckt
Als Guiding Architects warten wir sehnsüchtig auf den Moment, ein dem wir erneut die geheimen Orte unserer Städte besuchen und mit unseren Gästen teilen können.
Kennst Du ein Projekt in Deiner Stadt, das man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt?
Lorenzo: „An sich würde man es sogar sehr oft sehen: La Ricarda, entworfen von Antoni Bonet. Diese wunderschöne, rationalistische Villa liegt heute direkt neben der Landepiste des Flughafens – viel zu nahe unter den donnernden Fliegern. Aber nun herrscht wieder eine einzigartige Ruhe. So wie in den fünfziger Jahren, als sie gebaut wurde. Damals wie heute liegt sie weitab vom urbanen Zentrum, versteckt unter Pinienbäumen, lässt den nahen Strand erahnen und bezaubert durch ihre poetischen Details.“
5. Wertvoll
Plötzlich sind wir gezwungen, innezuhalten und auf alles Unnötige zu verzichten. Unsere Umwelt bekommt eine Verschnaufpause, und wir können uns endlich auf das Wesentliche konzentrieren.
Kannst Du ein Projekt in Deiner Stadt vorstellen, das auf besondere oder ungewöhnliche Art mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht?
Lorenzo: „Ein Projekt, das mir einfällt, ist der Umbau der ehemaligen Arbeitergenossenschaft Lleialtat Santsenca in ein Quartierszentrum. Das Gebäude wurde weitestgehend in seinem ursprünglichen Zustand erhalten. An vielen Stellen sind seine bauliche und soziokulturelle Vergangenheit sowie die Spuren der Zeit deutlich ablesbar. Der Umbau von Harquitectes ist eine kreative Verbindung von Alt und Neu und steht für einen neuen, nicht mehr nur allein auf gebäudeökologische Ziele ausgerichteten Umgang mit Nachhaltigkei, der auch ökonomische, soziale und kulturelle Dimensionen berücksichtigt.“
Keine Kommentare