Rotterdam: Schwimmendes Büro und Hotelsuiten im alten Hafen
Der Rijnhaven ist ein Ende des 19. Jahrhunderts angelegtes Hafenbecken in Rotterdam. Nördlich grenzt es an den Wilhelminapier, der seit Ende der 1990er Jahre in ein Hochhausviertel mit Bauten von Stararchitekten wie OMA, Álvaro Siza und Mecanoo transformiert wird. Südlich liegt die Halbinsel Katendrecht, ein ehemaliges Hafenarbeiterviertel, dessen Gentrifizierung vor einigen Jahren begonnen hat. Neben zwei ehemaligen Lagerhäusern, von denen eines einen Wohnungsaufbau von Mei Architects & Planners erhalten hat und das andere derzeit in ein Immigrationsmuseum mit Aussichtsrampe nach Entwurf von MAD Architects transformiert wird, thront dort noch immer der Betonkoloss der Codrico-Mehlfabrik und verströmt etwas ruppige Hafenatmosphäre.
7 Stadtprojekte
In Zukunft soll sich der Rijnhaven jedoch gründlich verändern, denn das alte Hafenbecken ist eines der 7 Stadtprojekte, in die Rotterdam in den nächsten zehn Jahren insgesamt 233 Mio Euro investieren will. Aufgrund des stark versiegelten Nachkriegsstädtebaus und da ein Großteil des Stadtgebiets unter dem Meeresspiegel liegt, steht die Hafenstadt vor besonders großen Herausforderungen, was die Klimaveränderung betrifft. Neben einer grüneren und nachhaltigeren Gestaltung von Plätzen, Parks und Verkehrsachsen, will man deshalb auch brachliegende Hafenbecken aktivieren – denn sind sie nicht letztlich auch nur ungenutzter öffentlicher Raum?
Als Vorboten der zukünftigen Entwicklung dümpeln im Rijnhaven bereits fünf schwimmende Hotelsuiten sowie das Floating Office. Die Hotelsuiten sind sogenannte Wikkelhäuser: aus Wellkarton gemachte, modulare und nachhaltige Tiny Houses, entwickelt von der Baufirma Fiction Factory. Karton wird schichtweise um eine Form gewickelt, innen mit Flachs gedämmt und außen mit einer Holzverkleidung versehen. So entstehen 1,20 Meter tiefe Module, die man zu Häusern mit 15 bis 60m2 koppeln kann. Im Rijnhaven schwimmen sie als Tiny-House-Boote auf Pontons, verbunden durch Stege.
Floating Office
Daneben treibt jedoch bereits ein viel größeres Bauwerk im Wasser: das Floating Office, entworfen vom Rotterdamer Büro Powerhouse Company. Der größte schwimmende Bürobau des Landes entstand im Auftrag der Stadt Rotterdam und des Global Center on Adaptation (GCA) und umfasst neben Büroflächen für GCA und das Architekturbüro auch ein Restaurant und einen Badesteg. Ein Sprung ins Hafenbecken empfiehlt sich bislang nur für Mutige, aber sobald die Mehlfabrik in ein paar Jahre stillgelegt ist, kann der Rijnhaven zum offiziellen Schwimmgewässer werden.
Die Basis des Floating Office besteht aus 15 Betonpontons à 24 x 6 Meter, die auf dem Wasserweg zum Standort gebracht wurden. Darauf ruht eine dreigeschossige modulare Skelettkonstruktion aus Leimbindern mit zwei stabilisierenden Kernen sowie Decken und Wänden aus Brettsperrholz. Zwischen all der auffälligen Stararchitektur in der Umgebung wirkt die Gestaltung des treibenden Büros mit seinem archetypischen Satteldach eher schlicht. Die Gründe dafür sind pragmatischer Art: Einerseits erforderte der Balanceakt, den der Bau auf dem Wasser vollführen muss, einen symmetrischen, nicht allzu hohen Aufbau, andererseits sorgen die großen Dachüberstände für eine energiesparende Verschattung der Glasfassaden. Die Wahl von Holz als Baumaterial war naheliegend, denn es wird für die meisten schwimmenden Gebäude in den Niederlanden verwendet. Abgesehen von seiner positiven CO2-Bilanz, ist es leicht und drückt die Betonwanne nicht tiefer als nötig ins Wasser. Außerdem konnte der Bau dank der Holzmodulbauweise viel schneller fertiggestellt werden als ein konventionelles Bürohaus.
Ein Park am, um und auf dem Wasser
Direkt neben dem Bürobau treibt außerdem eine kleine Grüninsel im Wasser. Ihr sollen in Zukunft mehrere andere Inseln folgen, bis eine komplette Spazierroute im Hafenbecken entsteht. Sie schließt an einen neuen Park an, dessen Anlage am Ostende des Hafenbeckens gerade begonnen hat: Dort kann man seit einigen Monaten Schleppsaugbagger beobachten, die Sand aufschütten. Insgesamt wird etwa ein Drittel des Hafenbeckens zu Land gemacht. Dort gibt es Pläne für eine Reihe von Hochhäusern mit 3000 Wohnungen sowie einen neuen Stadtpark inklusive Strand.
Bis dahin können Besucher bereits das Floating Office begutachten, aber natürlich auch Wikkelboats als Hotelzimmer mieten. So ist ein beinahe ungenutztes Hafenbecken zu einem der interessantesten Projektgebiete in Rotterdam geworden – das Sie auf einer Architekturführung mit architour besuchen können.
Text: Anneke Bokern, architour
Links:
https://wikkelhouse.nl/
https://wikkelboat.nl/
https://www.powerhouse-company.com/floating-office-rotterdam
Keine Kommentare