Stuttgart – von großen und von kleinen Dingen
Pferde grasen auf einer weiten Wiese, ein kleiner Bach durchquert das breite Tal. Die Wälder, die sich an drei Seiten den Berg hinauf ziehen bilden eine natürlich Grenze. Wir befinden uns im Zentrum Stuttgarts, ca. 4km von Bad Cannstatt entfernt, der schon zu Römerzeiten gegründeten Stadt am Fluss mit seinen Mineralquellen, den zweitgrößten übrigens in Europa, nach Budapest, und ca. 12 km von der pulsierenden Handwerkerstadt Esslingen entfernt. Wir sehen einen Pferdehof – einen Stutengarten – nachdem in späteren Jahren die Stadt Stuttgart benannt werden soll…
Kommen wir zurück in die Gegenwart, rund 1100 Jahre danach. Wir stehen an der gleichen Stelle und sind auf dem Schlossplatz, dem heutigen Zentrum Stuttgarts, der Schnittstelle von Altstadtkern, dem alten und dem neuen Schloss, der Königstraße als Haupteinkaufsmeile und dem Schlossgarten, der sich von hier bis an den Neckar zieht und dann in einem großen Bogen bis hinauf in die Wälder führt, die Stuttgart immer noch von drei Seiten umgeben. Stuttgart ist heute Landeshauptstadt und sechstgrößte Stadt Deutschlands, aber man sieht vom Zentrum aus den Wald und auch Weinberge, die bis heute noch an einigen Hängen zwischen den Häusern zu finden sind.
Es ist beschaulich und geschäftig zugleich. Und das drückt sich auch in seiner Architektur aus. Man hat den Eindruck, sie entsteht immer aus dem Spannungsfeld heraus, entweder bodenständig bleiben zu wollen, in einem guten, regionalen, maßstäblichen Sinne, und auf der anderen Seite auch Großes wagen zu wollen. Am Marktplatz zum Beispiel finden wir das in den 50er Jahren umgebaute Rathaus der Architekten Hans Paul Schmohl und Paul Stohrer. Man hat sich damals bewußt gegen eine, durchaus mögliche, Rekonstruktion des alten Rathauses entschieden und dem Haus eine moderne, mit großen Fensteröffnungen klar gegliederte, kubische Ansicht gegeben. Ihm gegenüber stehen die kleinen Häuser, die den Marktplatz von zwei Seiten rahmen. Der städtebauliche Rahmenplan geht auf das Ehepaar Gonser zurück. Es ist ein Versuch die Kleinteiligkeit der Altstadt wieder aufzunehmen und doch etwas Neues zu schaffen.
Die Neuordnung des Dorotheen Quartiers durch das Büro Behnisch Architekten zwischen Marktplatz und Karlsplatz hat städtebaulich die Chance ergeben, ein zuvor als Rückseite empfundenes Gebiet der Stuttgarter Innenstadt in ein lebendiges Quartier mit kleinteiligem Einzelhandel, Büros, und urbanem Wohnen umzuwandeln.
Obwohl das ganze Gebiet insgesamt drei Blocks umfasst, ist es den Architekten gelungen, mit einer behutsamen Bildung von kleinmaßstäblichen Stadträumen, der Fassadengliederung und einer abwechslungsreichen Dachlandschaft innerstädtische Architektur zu schaffen, in der sich die Menschen offensichtlich wohl fühlen.
Text: Ulrich Kölle, GA Stuttgart
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