Stuttgart, im Widerstreit von Tradition und Moderne
„Es gibt wohl kaum eine Stadt in Deutschland, deren bauliche Entwicklung in den letzten Jahren so großzügig und fortschrittlich gestaltet wurde wie Stuttgart. Man erkennt überall einen aufstrebenden Geist, der, auf Altem aufbauend, sich grundsätzlich zum Neuen bekennt“.
Könnte man diesen Kommentar von 1928 aus der Zeitschrift „Moderne Bauformen“ auch heute noch für gültig erklären? Beziehungsweise, hätten die Adjektive großzügig und fortschrittlich auch heute noch die positive Konnotation, die sie damals hatten? Wohin bewegt sich die Stadt in architektonischer Hinsicht heute? Und wie war die Wahrnehmung der Geschehnisse zu seiner Zeit?
1928 ist das Jahr nach der Weissenhofsiedlung, der Bauausstellung zum modernen Wohnen, die Stuttgart mit einem Schlag in des Fokus der modernen Architekturwelt gerückt hat.
Bis heute ist die Siedlung international bekannt und eine Mehrheit der an ihr beteiligten Architekten, wie Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier, Walter Gropius, Peter Behrens, Hans Scharoun sowie die Brüder Max und Bruno Taut, gehören zu den wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts. In der selben Zeit entstanden in der Hauptstadt Württembergs weitere Ikonen der Architekturmoderne des frühen 20. Jahrhunderts, darunter das elegante Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn oder der Tagblatt-Turm von Ernst Otto Oßwald, das erste Stahlbeton-Hochhaus Deutschlands.
Es gab aber auch Widerstand gegen die für viele Bürger so fremdartig wirkenden neuen Bauten. Und das nicht nur in der Bevölkerung. Paul Bonatz hatte gerade den heute denkmalgeschützten Bahnhof vollendet . Er kämpfte für eine fortschrittliche Architektur, die aber noch lokal verankert sein sollte. Neben ihm prägte auch Paul Schmitthenner die „Stuttgarter Schule“, die sogenannte lokale traditionalistische Architekturströmung. Er plante Anfang der 30er Jahre die Kochenhofsiedlung, die ursprünglich als Weiterführung der Konzepte der Weissenhofsiedlung gedacht war, unter Paul Schmitthenner aber zu einem kompletten Gegenentwurf wurde.
Die Antwort auf unsere Eingangsfrage ist so divers, wie sie es auch damals schon war. Es gab die mutigen Architekten, die sogenannte Avantgarde, die sich über die Bedenken und Gefühle ihrer Zeitgenossen hinweg gesetzt, und so prägende Gebäude geschaffen haben. Und es gab die konservativeren Architekten, denen, trotz technischem Fortschritt, das bewahrende Element in der Architektur wichtig war.
Eine Architekturdebatte, die noch ganz und gar nicht ausgefochten ist, und es wohl auch nie sein wird. Denn neue Architektur wird sich immer in diesem Widerstreit einzuordnen haben. Nutzen Sie das Jubiläumsjahr 2019 – das Bauhaus wird 100 Jahre alt – und schauen Sie sich mit einer unserer professionellen Architekturführungen die alten und neuen architektonischen Schätze der Stadt Stuttgart an!
Texte par Ulrich Kölle, GA Stuttgart
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